Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat den neuen Traditionserlass gezeichnet. Er trägt den Titel: „Die Tradition der Bundeswehr. Richtlinien zum Traditionsverständnis und zur Traditionspflege“. Bei dem Erlass handelt es sich um ein Dachdokument. Weitere Einzeldokumente der Organisationsbereiche werden folgen, die dann spezifische Aspekte detaillierter regeln können.
Der neue knüpft an den bisherigen Erlass an, der aus dem Jahre 1982 stammt. Es geht nicht um eine radikale Neufassung, sondern um eine Weiterentwicklung.
Die Ministerin hatte im Mai 2017 einen offenen und umfassenden Überarbeitungsprozess initiiert. Diesen erachtete sie für notwendig, weil die Bundeswehr von heute mittlerweile eine andere geworden ist als es vor mehr als 35 Jahren der Fall war. So hat sich die Bundeswehr nach dem Mauerfall hin zur „Armee der Einheit und im Auslandseinsatz“ grundlegend verändert. Sicherheitspolitische Wandlungen wie das Ende des Kalten Krieges, die Integration von ausgewähltem Personal und Material der NVA, neue Herausforderungen wie die Auslandseinsätze sowie strukturelle Anpassungen wie die Aussetzung der Wehrpflicht haben der Truppe ein neues Gesicht gegeben.
Durch den neuen Traditionserlass erhalten Führungskräfte sowie alle militärischen und zivilen Angehörigen der Bundeswehr mehr Handlungssicherheit im Umgang mit der Tradition der Bundeswehr. So ist in dem neuen Erlass zu lesen:
„Traditionspflege und historische Bildung sind Führungsaufgaben. Sie liegen in der Verantwortung der Inspekteure bzw. Inspekteurinnen und Leiter bzw. Leiterinnen der Organisationsbereiche der Bundeswehr sowie insbesondere der Kommandeure bzw. Kommandeurinnen, Dienststellenleiter bzw. Dienststellenleiterinnen und Einheitsführer bzw. Einheitsführerinnen. Diese sorgen für das Beachten und Verwirklichen dieser Richtlinien.“
Der neue Erlass legt Wert darauf, der Truppe und den Dienststellen in ihren Besonderheiten und regionalen Spezifika Freiräume zu eröffnen. Demnach gibt er den militärischen und zivilen Vorgesetzten an die Hand, dass sie „bei der Traditionspflege truppengattungs- und verbandspezifische Alleinstellungsmerkmale im Grundbetrieb und Einsatz betonen sowie regionale Bezüge oder Besonderheiten hervorheben. Dazu verfügen sie über Ermessens- und Entscheidungsfreiheit, vor allem bei regionalen und lokalen Besonderheiten“.
Weiter ist es Ziel des neuen Erlasses, dass Tradition für alle in der Bundeswehr erlebbar wird: „Um ihre integrative und motivierende Wirkung entfalten zu können, muss die Tradition der Bundeswehr geistiges Gut aller Angehörigen der Bundeswehr sein. Sie ist im dienstlichen Alltag sichtbar und erlebbar zu machen.“
Ganz bewusst richtet der neue Traditionserlass das Augenmerk auf eine intensive Auseinandersetzung mit der Vergangenheit und mit dem, was Tradition sein soll:
„Die Tradition der Bundeswehr ist der Kern ihrer Erinnerungskultur. Sie ist die bewusste Auseinandersetzung mit der Vergangenheit in gewachsenen Ausdrucksformen. Tradition ist damit Bestandteil des werteorientierten Selbstverständnisses der Bundeswehr mit ihren militärischen und zivilen Anteilen.“
Der Erlass erläutert, was im 21. Jahrhundert für Soldatinnen und Soldaten sowie alle Angehörigen der Bundeswehr traditionswürdig sein soll. Dabei kann aus dem mittlerweile reichen Fundus der eigenen Geschichte der Bundeswehr geschöpft werden. Die eigene Tradition wird demnach zum Kern ihrer Traditionspflege:
„Zentraler Bezugspunkt der Tradition der Bundeswehr sind ihre eigene, lange Geschichte und die Leistungen ihrer Soldatinnen und Soldaten, zivilen Angehörigen sowie Reservistinnen und Reservisten.“
Erstmals nimmt der künftige Erlass jedoch die gesamte deutsche Militärgeschichte in den Blick:
„Tradition und Identität der Bundeswehr nehmen daher die gesamte deutsche (Militär-)Geschichte in den Blick. Sie schließen aber jene Teile aus, die unvereinbar mit den Werten unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung sind.“
Weiter hebt der neue Traditionserlass ausdrücklich hervor, dass die Werte der deutschen Verfassung weit älter als das Grundgesetz sind. Damit lässt sich Erinnerungs- und Bewahrungswürdiges aus allen Epochen in das Traditionsgut der Bundeswehr übernehmen. Ihr Traditionskanon bleibt so grundsätzlich offen: „Traditionsstiftung und Traditionspflege sind dynamisches und niemals abgeschlossenes Handeln, das sich allen Versuchen entzieht, es zentral oder dauerhaft festlegen zu wollen.“
Darüber hinaus schafft der Erlass klare und nicht diskutierbare Handlungssicherheit:
Er zieht klare Grenzen zur Wehrmacht, klare Trennlinien zu nicht traditionswürdigen Kapiteln, Ereignissen und Personen der deutschen Geschichte. Die Wehrmacht als Institution kann daher als Waffenträger des NSNationalsozialismus-Regimes auch weiterhin nicht traditionsstiftend für die Bundeswehr sein:
„Der verbrecherische NSNationalsozialismus-Staat kann Tradition nicht begründen. Für die Streitkräfte eines demokratischen Rechtsstaates ist die Wehrmacht als Institution nicht traditionswürdig.“
Ausnahmen sind allerdings die Widerstandskämpfer des 20. Juli 1944, die Angehörigen der Gründer- und Aufbaugeneration der Bundesrepublik Deutschland oder Personen, die sich um Recht und Freiheit verdient gemacht haben – sie haben Relevanz für die Traditionspflege der Bundeswehr.
„Die Aufnahme einzelner Angehöriger der Wehrmacht in das Traditionsgut der Bundeswehr ist dagegen grundsätzlich möglich. Voraussetzung dafür ist immer eine eingehende Einzelfallbetrachtung sowie ein sorgfältiges Abwägen. Dieses Abwägen muss die Frage persönlicher Schuld berücksichtigen und eine Leistung zur Bedingung machen, die vorbildlich oder sinnstiftend in die Gegenwart wirkt, etwa die Beteiligung am militärischen Widerstand gegen das NSNationalsozialismus-Regime oder besondere Verdienste um den Aufbau der Bundeswehr.“
Weiter zieht der neue Traditionserlass klare Grenzen zur Nationalen Volksarmee (NVA). Allerdings werden Wehrmacht und NVA als Armeen von Diktaturen in ihrer historischen Bewertung nicht gleichgestellt. In der Bewertung ihrer Traditionswürdigkeit für die Bundeswehr ist aber dasselbe Ergebnis zu verzeichnen: Beide sind nicht traditionswürdig.
Zur NVA steht zu lesen:
„Die NVA begründet als Institution und mit ihren Verbänden und Dienststellen keine Tradition der Bundeswehr. In ihrem eigenen Selbstverständnis war sie Hauptwaffenträger einer sozialistischen Diktatur.“
Grundsätzlich ist das Selbstverständnis der Bundeswehr streng gebunden an die Werte und Normen des Grundgesetzes: „Grundlage sowie Maßstab für das Traditionsverständnis der Bundeswehr und für ihre Traditionspflege sind neben den der Bundeswehr übertragenen Aufgaben und Pflichten vor allem die Werte und Normen des Grundgesetzes. Zu ihnen zählen insbesondere die Achtung der Menschenwürde, die Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Völkerrecht, der Ausschluss jeder Gewalt- und Willkürherrschaft sowie die Verpflichtung auf Freiheit und Frieden.“
Der Zweck des neuen Traditionserlasses ist ebenfalls klar definiert:
„Die Traditionspflege in der Bundeswehr stärkt das Bewusstsein für ihre eigene Geschichte und den Stolz auf ihre Leistungen.“
Die Traditionspflege der Bundeswehr verfolgt weiter Ziele, die das demokratische Wertebewusstsein und die Verfassungstreue festigen und erhalten. Es geht um einen verfassungsorientierten Patriotismus, das Bejahen des Auftrags zum Erhalt oder zur Wiederherstellung des Friedens in Freiheit. Weiter dient Traditionspflege als Grundlage des soldatischen Selbstverständnisses der Bundeswehr sowie der Vermittlung soldatischer Tugenden und soldatischer Haltung. Und schließlich fördert sie Einsatzbereitschaft und dem Willen zum Kampf, wenn es der Auftrag erfordert.
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